Alpha-Hund, Alpha-Wolf, Alpha-Herrchen

LUPO – Foto: Initiative "Mensch Hund und"

Viele glauben, dass ein sogenannter Alpha-Hund männlich und Chef im Ring sei. Er gebe alles vor und lasse alle Hunde um ihn herum nach seinen Befehlen handeln. Aus dieser Meinung heraus glauben einige, sich wie ein Alpha-Herrchen ihrem Hund gegenüber verhalten zu müssen.

Wo kommt solch eine Denkweise her? Schauen wir in die Wolfsforschung bis in die 1960er Jahre und noch weit davor, fallen zwei Dinge auf: Die Forschung fand in Zeitaltern statt, in denen das Patriarchat das non plus Ultra war. Forscher gehörten häufig zur oberen Schicht oder wurden protegiert. Zudem waren sie immer männlich. Dementsprechend waren die Forschungsergebnisse durch männlich geprägte Weltanschauungsmodelle gefärbt und man kam zur Theorie des „Alpha-Wolfs“. Darüber hinaus wurde die Körpersprache der Wölfe schlicht falsch interpretiert.

Erschreckend ist, dass es in der heutigen Hundeschulung sogenannte Hundeprofis gibt, die an diesen überholten Forschungsmodellen festhalten als seien sie in Stein gemeißelt. Noch erschreckender ist, dass es Menschen mit Hunden gibt, die diesen Hundeprofis absolut unkritisch folgen.

Wie Wölfe wirklich ticken …

Wissenschaftler und Feldforscher – beispielhaft sei hier der gebürtige Kölner Günther Bloch genannt – haben uns in den Jahrzehnten danach daran teilhaben lassen, wie Hunde und ihre Urahnen – die Wölfe – wirklich ticken. So wissen wir heute, dass Wölfe in Familiengruppen zusammenleben und zusammenhalten. Diese Familien werden von den erfahrensten, intelligentesten und souveränsten Tieren geleitet. Sehr häufig sind es ein Rüde und eine Fähe. Verletzte Tiere der Familie werde versorgt – und seien sie noch soweit vom Quartier entfernt. Säugende Tiere werden verpflegt und beschützt, Jungtiere werden gemeinsam erzogen und auch Revierbehauptung und Nahrungsbeschaffung sind Aufgabe der gesamten Familie. Leittiere regulieren ihre Familienangehörigen nur dann, wenn es absolut notwendig ist. Als souveräne Wölfe haben sie es nicht nötig, ihren Familienmitgliedern auf den Keks zu gehen. Im Gegenteil, sie wissen um den Wert ihrer Familie und die Familie weiß um die Intelligenz und Fähigkeit ihrer Leittiere, auf die sie sich in jeder Situation verlassen kann. Sollte eine Regulierung dennoch unumgänglich sein, wird sie einmal – aber in aller Klarheit – vollzogen und danach neutralisiert sich das Familiengefüge wieder und das regulierte Familienmitglied weiß, was von ihm erwartet wird.

Den Wolf bekommen wir nicht zum Nulltarif

Schauen wir nach Deutschland und betrachten das hiesige Wolfsmanagement: Seit Jahren kristallisieren sich zwei Gruppen heraus. Da sind zum einen die gewerblichen Nutztierhalter, die durch Wölfe Verluste in ihren Herden hinnehmen mussten und zum anderen Tierschützer, Tierrechtler und Naturfreunde, die sich darüber freuen, dass der Wolf wieder in Deutschland unterwegs ist. Es drängt sich der Eindruck auf, dass diese beiden Gruppen den Weg des Dialogs verlassen und sich die Fronten verhärten. Die Jägerschaft feuert diesen Konflikt mit ihrer Forderung, Wölfe abschießen zu dürfen, an. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Wölfe ganzjährigen Schutz genießen und nur in absoluten Ausnahmefällen geschossen werden dürfen. Wie sagt Günther Bloch: „Den Wolf bekommen wir nicht zum Nulltarif.“ Und genau an dieser Stelle müssen wir ansetzen. Wir müssen erkennen, dass nur gemeinsam über den Dialog richtige Entscheidungen getroffen werden können und die werden Geld kosten.

Unsere Vorfahren wussten noch, wie man Nutztierherden vor Wölfen sichert

Meist sind es durchziehende Einzeltiere, die Schaden an Herden von Nutztieren anrichten. Diese Wölfe, zumeist junge Tiere, mussten ihren Familienverband verlassen, weil nicht mehr für alle Familienmitglieder ein ausreichend großes Revier zur Verfügung stand und damit ausreichend Nahrung. Sie wandern auf der Suche nach einem eigenen Revier, um eine eigene Familie gründen zu können. Die geschädigten Nutztierherden waren in der Regel unzureichend gesichert. Ein, wenn auch unter Strom stehender, ein Meter zwanzig hoher Zaun hält nun einmal keinen Wolf zurück, der auf der Suche nach Nahrung ist.

Back to the Roots – unsere Vorfahren wussten noch, wie man Nutztierherden vor Wölfen sichert. So wurden Herdenschutzhunde, gerade aus dem Welpenalter heraus, in die Nutztierherden gebracht und wurden dort groß. Es entwickelte sich eine Symbiose aus Nutztieren und Herdenschutzhund. Der Herdenschutzhund bewachte die Herde nicht, sondern – wie der Name schon sagt – beschützte sie. Wurde seine Herde unruhig, weil sich ein Fressfeind (Wolf oder Bär) näherte, wurde er aktiv, machte den Fressfeind aus, drohte und verbellte ihn. In fast allen Fällen zogen dann Wolf oder Bär weiter, weil ihnen das Risiko zu groß war, selber so stark verletzt zu werden, dass es für sie lebensbedrohlich hätte werden können. Auch informierten sich die Halter der Herden, zum Beispiel Schäfer, untereinander, wenn Wölfe in der Nähe ihrer Nutztiere waren. Es war für die Schäfer selbstverständlich, auch nachts bei ihren Tieren zu bleiben.

Würden wir heute urtypische Herdenschutzhunde und höhere Zäune bei Nutztierherden einsetzen, würde es darüber hinaus einen Informationsaustausch geben, in welchem Gebiet sich durchstreifende Wölfe gerade aufhalten und würden dann Schäfer in sogenannten Durchzugsgebieten nachts bei ihren Nutztierherden bleiben, könnte ein Großteil der Verluste von Nutztierherden vermieden werden.

Französische Schäfer machen sich  angesiedelte Wolfsgruppen sogar zum Beschützer ihrer Schaf-/Ziegenherden. So berichtete ein Schäfer, dass er, seitdem er Herdenschutzhunde einsetze, keine Verluste mehr habe. Vielmehr gäben die Wölfe innerhalb ihrer Familie an den Nachwuchs, die Gefahr durch den Herdenschutzhund, weiter. Dadurch versuche der Nachwuchs erst gar nicht, die Schafe oder Ziegen zu reißen. Ganz im Gegenteil, durchziehende Wölfe (in der Regel Einzeltiere, die Jagdgebiete und Reproduktionspartnerinnen suchen) würden vertrieben und Schafe und Ziegen blieben auch von fremden Wölfen unbehelligt.

Der böse Wolf gehört ins Märchenbuch.

Aus unserer Sicht muss ein Wolfsmanagement, das allen gerecht wird, aus einem breiten Dialog entstehen. So müssten Nutztierhalter geschult werden, wie Wölfe jagen und wie Herdenschutzhunde eingesetzt werden. Dazu müssten ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die unterstützten Nutztierhalter sollten in Kooperation mit allen Tierschützern und Naturfreunden ihren Willen zum Erhalt des Wolfes zeigen. Ein regelmäßiger Austausch zwischen den Tierschützern, die mit dem Wolfsmanagement beauftragt sind, und Nutztierhaltern wäre unabdingbar.

Ganz klar möchten wir an dieser Stelle sagen, dass die Jägerschaft sich ein ganzes Stück zurücknehmen sollte. Der Ruf nach dem Abschuss des Wolfes hat das Geschmäckle, dass hier mehr der Wunsch nach den „Big Five“ im Vordergrund steht als ein artgerechtes Wolfsmanagement. Vielmehr wäre von Nutzen, in den eigenen Reihen die schwarzen Schafe zu finden. So wie der Jäger, der strafrechtlich verurteilt wurde, weil er einen Wolf geschossen hatte.

Auch bei Luchsen und anderen Wildkatzen kommt es immer wieder zu unerlaubten Abschüssen. Leider kann man die Täter nur selten ausfindig machen. Denkbar ist, dass Naturfreunde – ob Jäger, Tierschützer, Tierrechtler oder Nutztierhalter – Führungen für  Wolfsinteressierte anbieten, um so eine weitere Einnahmequelle für sich zu nutzen und auf diesem Weg die Geschichte des „Bösen Wolfs“ nach Rotkäppchen dahin zu verbannen, wo sie hingehört: ins Märchenbuch.

Was brauchen unsere Hunde?

Aus dieser Gesamtlage können wir Menschen, die mit Hunden zusammenleben, Vieles lernen. Der Wolf ist zwar Urahn unserer Hunde, aber ein 1:1 Vergleich wird unseren Hunden nicht gerecht. Denn es ist uns zum Beispiel als Zuchtergebnis gelungen, einen Teil der wölfischen Sozialkompetenz aus unseren Hunden herauszuzüchten. So konnte unter anderem im Toskanaprojekt mit verwilderten Haushunden beobachtet werden, dass Hunde innerhalb ihrer Gruppe stillende Muttertiere nicht versorgen.

Verantwortungsbewusste Leitmenschen führen einen souveränen Dialog mit ihren Hunden. Leitmenschen müssen als Kompetenz die Sprache der Hunde erlernt haben und „sprechen“ können. Dann ist man auch in der Lage, ohne Gewalt einen Konflikt mit seinem Hund klar und deutlich aufzulösen. Hundeschulen, die solche eine notwendige Kompetenz vermitteln, empfehlen wir euch auf Nachfrage gerne.

Kein Hund braucht ein Alpha-Herrchen im Sinne des Patriarchats. Wenn sich unsere Hunde etwas wünschen könnten, wäre es der souveräne Leitmensch. Als einen verlässlichen Partner, von dem er fürs Leben lernen kann.

 

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